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12.8.1908: "Tin Lizzy" läuft vom Band
Schwarz, hohe Räder, rundherum Trittbretter, Stielaugen, Scheinwerfer, Lederverdeck. Vier Sitze und vier Zylinder, 21 PS, drei Liter Hubraum, zwei Gänge vorwärts, einer zurück. Statt eines Schaltknüppels gibt es Pedale.

Am 12. August 1908 verlässt das erste Ford Modell T, die "Tin Lizzy", im US-amerikanischen Detroit die Montagehalle. Sie eignet sich genauso gut für Langstreckenfahrten wie dank ihres hohen Radstandes für die Feldarbeit. Auch der entlegensten Farm verschafft die "Blechliesel" den Anschluss an die noch grobmaschige Infrastruktur der Vereinigten Staaten.

"Tin Lizzy" wird zum Verkaufsschlager. Allein 1908 produziert Ford in den 1903 gegründeten Werken 6200 Wagen - mehr Autos, als es bis dahin in ganz Deutschland gibt. Im Rekordjahr 1923 rollen in Amerika mehr als zwei Millionen dieser Vehikel vom Band. Für damalige Verhältnisse war das Auto leicht zu bedienen und zu warten, erzählt Marcus Neumann vom Alt-Ford Freunde Verein, auch wenn das heute schwer nachvollziehbar erscheint.

Neumann: "Dieses Auto ist recht einfach und doch wiederum kompliziert. Im Vergleich zu modernen oder Fahrzeugen, die in den Jahren nach dem Tin Lizzy Modell gefertigt worden sind, ist es sehr aufwendig von der Wartung, sehr aufwendig vom Handling und vor allen Dingen bietet überhaupt keinen Fahrkomfort. Alle 600 Kilometer muss ein Ölwechsel gemacht werden, es muss alle 300 Kilometer abgeschmiert werden."

Doch damals besticht die Millionen von Käufern vor allen Dingen eins: der sensationell niedrige Preis von zuerst 850 Dollar. Automobilpionier Henry Ford kann billiger als alle anderen produzieren, weil er die Arbeitsteilung einführt. Jeder Monteur erledigt nur einen Arbeitsgang - hängt den Motor ein, montiert die Sitze oder zieht Radmuttern fest. Damit wird das T-Modell das erste Auto der Welt, das vollständig aus passgenauen und austauschbaren Bauteilen besteht.

Am 12. August 1908, dem Produktionsbeginn der Blechliesel, greifen der damals 45-jährige Firmengründer und seine Ingenieure eine Entwicklung auf, die mit dem Beginn der Industrialisierung begann. Damals wurden einzelne Werktische so angeordnet und verbunden, dass ein Massenprodukt einfach weitergegeben oder -gerollt werden konnte. Wie von selbst passen sich die Arbeiter dem allgemeinen Rhythmus an; eine Pause hätte die Fertigung gleich stocken lassen.

Fords Idee: die Werkstücke nicht mehr von Hand weiterhieven zu lassen, sondern von einer eigens konstruierten Maschine. Damit ist 1913 das Fließband erfunden. Vorbild sind die Schlachthöfe von Cincinnati und Chicago, wo Endlosketten die an Fleischerhaken hängenden Tierkörper vorantrieben und jeder Arbeiter nur einen Handgriff oder Schnitt ausführte.

Bis 1927 sind fast 15 Millionen "Tin Lizzy" in fast unveränderter Bauweise vom Fließband gerollt - und Millionen von Autofahrern müssen sich manchmal mehrmals am Tag den Schmutz von den Kleidern klopfen, um die Zündvorrichtung zu magnetisieren, erzählt der Automechaniker und Ford-Freund Marcus Neumann:

"Das heißt, jemand musste unter das Auto klettern, mit einer Eisenstange dagegen schlagen, damit der Wagen dann letztendlich während des Ankurbelns ansprang."

Der Produktivitätszuwachs in den Fordschen Werkshallen ist nach Einführung des Fließbandes gigantisch - der Bau eines Chassis dauert statt zwölfeinhalb jetzt nur anderthalb Stunden. Doch der Preis ist hoch - Ellenbogen an Ellenbogen, von Zeitnehmern überwacht stehen die Arbeiter im Maschinenlärm.

Jeder dritte quittiert den Dienst innerhalb eines Monats. Doch das T-Modell ist profitabel genug, die Fron zu vergolden. Der Tageslohn wird auf fünf Dollar mehr als verdoppelt, die Arbeitszeit von neun auf acht Stunden herabgesetzt. Fortan stehen die Bewerber vor dem Werkstor Schlange.

Heute knattern nur noch wenige "Tin Lizzy" Oldtimer-Modelle durchs Land. Und Marcus Neumann weiß auch warum:

"In der Regel haben diese Autos einen Verbrauch von 13 und 17 Litern, und ob das Öl auf die Straße läuft, das ist völlig egal gewesen. Also die Wagen, die verlieren grundsätzlich Öl. Für Stadtverkehr sind die T-Modelle völlig ungeeignet, weil sie halt dazu neigen zu überhitzen. Wenn sie lange im Stau stehen, dann kochen sie in Anführungsstrichen auf deutsch ab. Es kann natürlich Maschinenschäden verursachen und mindert die Freude am Fahren."

Das schon bald stieß das Prinzip des "Fordismus" an seine Grenzen. Mit dem organisatorischen Meisterwerk ließ sich immer nur das eine, immer gleiche Modell bauen, erhältlich "in jeder beliebigen Farbe, solange sie schwarz ist ". Auf diesen wunden Punkt zielte die Konkurrenz, brachte jedes Jahr ein neues Modell heraus, zuweilen nur mit technisch unbedeutenden, aber augenfälligen Veränderungen.

Der unvermeidliche Übergang zu einem neuen Modell geriet für Ford zum Fiasko. Die Produktion lag monatelang still, viele Maschinen ließen sich nicht umrüsten, die Kosten horrend. Ford verlor seine scheinbar unanfechtbare Führungsposition an General Motors.

Autorin: Gerda Gericke
   
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