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23.10.1954: NATO lädt Deutschland ein |
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Im April 1949, als in Washington die NATO gegründet wurde, dachte niemand ernsthaft daran, dass Deutschland je Teil dieses Verteidigungsbündnisses werden könnte. Vier Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war die Angst vor Deutschland unter den Westeuropäern weitaus größer als die Angst vor der Sowjetunion. Vor allem in Frankreich sah man die Gründung der Bundesrepublik Deutschland mit größter Skepsis - eine Wiederbewaffnung Deutschlands schien völlig unvorstellbar.
Doch nur ein Jahr später, im Juni 1950, veränderte sich die Situation schlagartig: Der Korea-Krieg hatte begonnen. Der Vorstoss der Nordkoreaner über den 38. Breitengrad schürte die Furcht, auch Westeuropa könne Opfer einer kommunistischen Aggression werden. Briten und Amerikaner ergriffen nun die Initiative: Europa, so ihre These, könne nur dann erfolgreich verteidigt werden, wenn auch deutsche Soldaten hierfür bereit stünden.
Bundeskanzler Konrad Adenauer griff diesen Ball sofort auf: "Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass die Bundesrepublik Deutschland, wenn sie von den westlichen Mächten dazu aufgefordert wird, bereit sein muss, einen angemessenen Beitrag zu dem Aufbau dieser Abwehrfront zu leisten. Und zwar um ihren Fortbestand, die Freiheit ihrer Bewohner und die Weitergeltung der westlichen Kulturideale zu sichern."
Dem alten Fuchs Adenauer ging es freilich um mehr. Sein Angebot der deutschen Wiederbewaffnung war der ideale Hebel, um sein großes Ziel, die Souveränität für die Bundesrepublik, durchzusetzen. Denn noch stand der junge Staat unter der Kuratel der Westalliierten, war zeitgleich mit dem Grundgesetz ein Besatzungsstatut in Kraft getreten.
Adenauers Rechnung ging auf: Frankreich konnte dem Druck der Amerikaner und Briten nicht lange standhalten. Paris reagierte mit der Flucht nach vorn: Deutsche Soldaten sollte es nicht in einer deutschen, sondern allein in einer europäischen Armee geben, geführt von einem europäischen Verteidigungsminister. Die Idee der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft - kurz EVG - war geboren. Die Bundesregierung akzeptierte den Plan, der junge Abgeordnete und spätere Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß warb im Bundestag um Zustimmung:
"Dieses Europa kann nicht neutral sein. Dieses Europa darf niemals aggressiv sein. Aber dieses Europa muss durch seine Stärke und durch die Stärke seiner Bundesgenossen jeden Angriff für den Angreifer zum Selbstmord machen."
Die Verhandlungen mit Frankreich, Italien und den Benelux-Staaten kamen schnell voran. Im Mai 1953 wurde in Paris der EVG-Vertrag unterzeichnet. Doch die Debatte um die Wiederbewaffnung führte die Bundesrepublik innenpolitisch in die Zerreissprobe. Vor allem die SPD warf dem Kanzler vor, er verrate die Einheit Deutschlands. Innenminister Gustav Heinemann hatte wegen dieses Streits sogar das Kabinett Adenauers verlassen und war aus der CDU ausgetreten: "Niemand von uns nimmt die Krise leicht, die durch Ablehnung der Pariser Verträge entstehen wird. Aber diese Krise erscheint uns als das kleinere Unglück im Vergleich zu der Katastrophe, die eine Versteinerung der deutschen Teilung auf unabsehbare Zeit für uns und für Europa bedeuten wird. Die westdeutsche Aufrüstung ist kein Weg zur Wiedervereinigung und zur Gestaltung Europas."
Trotz heftiger Debatten und zahlloser Demonstrationen im Land - der EVG-Vertrag passierte den Bundestag. Gescheitert ist er im August 1954 in der französischen Nationalversammlung. Der Korea-Krieg war beendet, die Kriegsangst hatte sich gelegt, da schien den Franzosen die Abtretung so vieler Rechte an ein europäisches Gemeinschaftsunternehmen nicht mehr opportun.
Die deutsche Wiederbewaffnung konnten sie indes nicht verhindern. Auf Druck der USA erhielt die Bundesrepublik schon am 23. Oktober 1954 die Einladung zum NATO-Beitritt, der im Mai 1955 vollzogen wurde. Gleichzeitig wurde die Bundesrepublik souverän. NATO-Beitritt und Aufbau der Bundeswehr waren noch einmal Anlass großer Redeschlachten im Bundestag.
Fritz Erler, damals außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion: "Unser Volk lebt in einer tiefen Tragik: Zwei Armeen werden aufgestellt, in den beiden Teilen Deutschlands - das ist schon schlimm genug. Noch schlimmer ist es, dass diese beiden Armeen eingeschmolzen werden in feindlich einander gegenüberstehende Militärblöcke."
Doch der Widerstand der SPD hielt den Gang der Dinge nicht mehr auf. Bereits Ende 1955 traten die ersten Bundeswehrsoldaten ihren Dienst an. 1960 machte auch die SPD ihren Frieden mit Wiederbewaffnung und NATO-Mitgliedschaft und sicherte so außenpolitische Kontinuität über jeden Regierungswechsel hinweg.
Autor: Felix Steiner |
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