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20.2.1963: "Der Stellvertreter" |
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Die Frage, ob von der Literatur politische Wirkung ausgeht oder nicht, hat das Werk Rolf Hochhuths eindeutig beantwortet. Bereits sein Erstlingswerk, das Theaterstück "Der Stellvertreter", liefert politischen Sprengstoff.
Der damals 31-Jährige betritt am 20. Februar 1963 mit einem Paukenschlag die Bühne der Öffentlichkeit, sein Stück kündigt die Restauration des Nachkriegs-Deutschland auf und rüttelt die Adenauer-Ära aus ihrem Wirtschafts-Wunder-Dornröschenschlaf.
Trotz all seiner klaren Bekenntnisse tut man sich auch heute noch schwer, Hochhuth in eine der gängigen politischen Schubladen zu stecken. Nur eine Bezeichnung haftet ihm immer wieder an, sehr zu seinem eigenen Missfallen: "Das Wort Moralist lehne ich ab, es stört mich sehr. Parteiloser Aufklärer, das finde ich schön. Der Moralist ist eine ungute Zeigefinger-Erscheinung. Etwas ganz anderes ist es, wenn Sie sagen, dass meine Stoffe moralische sind, das ist richtig."
Das Papst-Drama um Pius XII. wird an der Berliner Freien Volksbühne uraufgeführt. Der Regisseur, Erwin Piscator, ist bereits aus dem avantgardistischen Berlin der 1920er-Jahre bekannt. Seine Inszenierung sorgt für nachhaltiges Aufsehen.
Das Stück bricht Tabus, es klagt den Papst Pius XII. und die katholische Kirche an. Der Vorwurf lautet: ein Konkordat, eine Abmachung verband den Papst und die gesamte katholische Kirche mit den Nazis.
Hochhuth spitzt das Thema zu: Tausende Juden werden über den Petersplatz aus Rom in die Gaskammern der Nazis abtransportiert und der Papst, die moralische Instanz des Erdkreises, sieht zu und schweigt. "Falsch" lautet das Dementi der Papsttreuen, "Pius schwieg nur, um einer noch drastischeren Verfolgung der Juden und auch des Klerus entgegenzuwirken." Noch drastischer?
Hochhuth kann akribisch nachweisen, dass der Papst stets über das Ausmaß der Deportationen und der Judenvernichtung informiert war. Der Vorwurf hat eine tiefere Dimension: Der Stellvertreter Gottes auf Erden, die Kurie und die meisten Bischöfe der Ortskirchen konnten sich einer gewissen Sympathie für rechtstotalitäre Systeme nicht erwehren. Und so sollte Hitler nicht in den Arm gefallen werden, denn er und seine Armee leisteten gute Arbeit im Kampf gegen den gottlosen "Bolschewismus". Die kommunistische Heilslehre erschien der katholischen Kirche als die schrecklichste Bedrohung. Dafür konnte man schon mal mit dem Teufel paktieren.
Fehlschlüssen über die Schuld der Deutschen wirkt Hochhuth selbst entgegen: "Das deutsche Publikum hat den "Stellvertreter" nicht als Alibi für deutsche Verbrechen begrüßt, denn in Westdeutschland wurde der "Stellvertreter" höchstens von zehn Prozent der Bühnen gespielt. Er wurde in Westdeutschland weniger als halb so oft gespielt wie allein in Paris, viel weniger auch als in New York. Und wenn die Deutschen in meiner Darstellung eine Entschuldigung gefunden hätten für die eigenen Verbrechen oder eine Möglichkeit, sie abzuwälzen auf den Vatikan, dann hätten sie das Stück wahrscheinlich mehr mit offenen Armen begrüßt."
Der Autor Hochhuth leistet, nur kurze Zeit nach den schrecklichen Geschehnissen, unbequeme Pionierarbeit. Es folgen zahlreiche, zumeist historische Publikationen über die Schuld des Papstes an der Judenvernichtung. Hochhuth hat als Autor die Verantwortung des Historikers übernommen, der Geschichte beschreibt: "Ich kenne das Wort von Lessing: "Der Dichter ist der Herr der Geschichte." Das lehne ich ganz ab. Ich sage, der Dichter ist der Knecht der Geschichte, und ich habe kaum die Illusion, dass Stücke aktiv Menschen verändern. Ich habe im Gegensatz zu Lessing auch die Auffassung, dass der Autor, wenn er Geschichte auf die Bühne bringt, so nah wie möglich an der historischen Wahrheit bleiben muss, dass er sein Stück vernichtet, wenn er die historische Wahrheit manipuliert."
Der Vatikan präsentiert sich auch zu Beginn des dritten Jahrtausends als ein Hort des Schweigens und der Restriktion. Eine vom Vatikan selbst eingesetzte jüdisch-katholische Historikerkommission, die die Vorwürfe gegen den "Papst des Schweigens" untersuchen soll, wird der Zutritt ins Archiv verwehrt. Sie stellt im Sommer 2001 ihre Arbeit frustriert ein.
Autorin: Barbara Fischer
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