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10.5.1963: Joghurt im Kunststoffbecher
"Ungeheuer eckig, viereckig, quadratisch, würfelförmig. Diese Ecken haben uns die meisten Probleme gemacht. Man muss sich vorstellen, man erwärmt eine Folie von etwa 0,8 Millimetern Dicke und zieht sie dann mittels Stempel und Druckluft in eine Form hinein, und bekommt denn nun, wenn es gut geht, wunderschöne Ecken. Aber wenn es nicht gut geht, bekommt man Löcher in den Ecken, und die will man natürlich nicht haben." Was hier beschrieben wird, hat jeder schon mal auf seinem Frühstückstisch stehen gehabt: einen Joghurtbecher. Am 10. Mai 1963 lieferte die Berliner Meierei-Zentrale ihren ersten Joghurt in Kunststoffschalen aus; vorher gab es nur den in kleinen Glasflaschen mit Pfand.

Die Werbung von damals wirkt heute eher komisch. So pries man, die neue Verpackung mit der nach oben verbreiterten Öffnung erleichtere das Löffeln des Joghurts und es bestehe eine geringere Verletzungsgefahr als bei Glas.

Die Berliner jedenfalls flogen auf die neue Verpackung. Hans Günther Müller, der leitende Ingenieur, erinnert sich an die überraschend große Nachfrage: "An diesem berühmten 10. Mai 1963 hatten wir gerade mal 5000 Einheiten fertig produziert und wollten die in den Markt geben, und die waren sofort weg. Aber der nächste Tag kam mit Nachfrage, und unsere Maschine lief nicht mehr, und das waren eigentlich die Erfahrungen des ganzen kommenden Jahres. Wir hinkten mit der Produktionsmöglichkeit immer hinter der Nachfrage her."

Was damals der neueste Schrei war, ist inzwischen ein handfestes Problem - jedenfalls für die Umwelt. Denn mit dem Joghurtbecher kamen auch all die anderen Plastikverpackungen für Milch, Sahne und Frischkäse, auch für Suppe, Salat und Shampoo. Abertausende Tonnen Plastikmüll fallen jährlich in Deutschland an.

Plastik und Müll - das gehört inzwischen so sehr zu unserem Leben, dass sich längst auch die Gegenwartskunst dieses Themas angenommen hat. Die Künstlergruppe Bär und Knell experimentiert seit Anfang der 1990er-Jahre mit Recyclekunst und hat seither schon diverse Ausstellungen im In- und Ausland mit ihren Kunst- und Designobjekten aus alten Joghurtbechern bestückt: "Z.B. haben wir angefangen, Stuhlobjekte herzustellen, im Bereich des Industriedesigns gibt es z.B. eine ganze Buchserie, wo quasi der Einband des Buchs aus Original-Abfallkunststoff besteht. Und dann gibt es eine ganze Leuchten-Kollektion, die nennt sich Comeback, die auch in ganz Deutschland, in Europa vermarktet wird."

Ein schönes Beispiel dafür, dass Ökologie und Ökonomie auch mal Hand in Hand gehen können. Auch in der "Geburtsstunde" des Joghurtbechers kam es übrigens zu solch glücklichen Zufall, denn eigentlich hätte man so gern PVC als Material verwendet. Müller dazu: "PVC, wussten wir, lässt sich ganz leicht verarbeiten, ist leider, leider, leider sehr teuer; damals jedenfalls, und wir waren gehalten, Polysterol zu nehmen. Wie sich dann im Nachhinein herausstellte, war das die ökologisch richtige Entscheidung, aber wir Techniker haben uns sehr schwer damit getan."

Neben den technischen Schwierigkeiten - die Füllmaschinen kamen aus Frankreich und jedes Ersatzteil musste importiert werden - war es vor allem die deutsche Bürokratie in Form des Eichamtes, das die Ingenieure an den Rand der Krise brachte. Auf Dauer jedoch ließ sich der Siegeszug des Plastikbechers nicht aufhalten: "Am Ende standen vier Maschinen da, die unentwegt produzieren mussten, um die Nachfrage zu befriedigen, und Anfang 1965 war es dann soweit, dass wir tatsächlich die Gläser, die wir bis dahin noch hatten, völlig aus dem Markt zurücknehmen mussten und konnten, weil einfach die Akzeptanz nicht mehr da war für ein so unbequemes Gebinde."

Erst seit einigen Jahren geht der Trend wieder zurück zu Pfand- und Glasprodukten. Auch die Berliner Meierei-Zentrale hat wieder Pfandbecher eingeführt: aus Plastik: "Wenn Sie so wollen, ist das der konsequente Schritt nach vielen Umwegen. Wir haben eine leichte Verpackung, wir haben eine logistisch günstige Verpackung, und wir bekommen sie in großem Umfang wieder zurück. Also da muss nichts mehr weggeworfen werden, nur das Thema Wegwerfen war eben damals kein Thema."

Autorin: Rachel Gessat
   
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