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7.5.1998: Daimler kauft Chrysler |
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Hochrangige Manager haben wieder gelernt, wie man eigenhändig einen Fotokopierer bedient oder Folien schreibt. Geheimhaltung hatten sich Daimler Benz Chef Jürgen Schrempp und Chrysler Boß Robert Eaton verordnet. Niemand, nicht Sekretärinnen noch Assistenten, sollten von der größten Industriefusion aller Zeiten erfahren.
Sie begann mit einem 17-minütigen Treffen in Chryslers Zentrale in einem Vorort von Detroit und wurde am 6. Mai 1998 in einem Londoner Hotel mit Champagner begossen. Dazwischen führten die Verhandlungen die Topmanager durch luxuriöse Hotels in New York bis hin zu Kantinen der Deutschen Bank.
Der Rest der Welt fiel dann aus allen Wolken, als kurz darauf die größte Finanzzeitung der USA, das Wall Street Journal, meldete, Daimler und Chrysler führten Geheimgespräche über einen 35 Milliarden Dollar Deal. Seinen Aktionären erklärte der deutsche Konzernlenker Jürgen Schrempp die Sache so: "Ihr Unternehmen, meine Damen und Herren, ergreift aus einer Position der Stärke die Chance, seine Aktivitäten mit denen eines führenden Automobilherstellers zusammenzuführen. Die Daimler Chrysler AG wird der drittgrößte und der global am besten positionierte Automobilhersteller der Welt sein."
Jährlich 1,25 Milliarden Euro sollten durch den Zusammenschluss gespart werden. Einkauf, Verkauf, Buchführung, Forschung und Entwicklung sollten gebündelt und damit in Zukunft preiswerter werden. Die industrielle Führerschaft, so das Sagen, bekamen die Deutschen. Die ersten drei Jahre sollten Schrempp und Eaton die neu geschaffene Welt-AG gemeinsam leiten, danach würde sich der ältere US-Amerikaner in den Aufsichtsrat verabschieden und dem ehrgeizigen Deutschen das Feld allein überlassen. Name des neuen Autogiganten: Daimler Chrysler - nicht umgekehrt.
Das Verhandlungsergebnis sagte nach Ansicht von Beobachtern viel über das deutsch-amerikanische Verhältnis aus. Als nach dem Zweiten Weltkrieg die Rosinenbomber nach Berlin flogen, die US-Amerikaner die Luftbrücke unterhielten, da war die Machtverteilung klar: Am Steuerknüppel saßen die US-Amerikaner, die Deutschen bückten sich nach den Hilfsgütern. Noch immer sind die US-Amerikaner immer noch die Führungsmacht der Welt. Aber durch die Fusion habe sich etwas geändert. Norbert Walter, Chefvolkswirt der Deutschen Bank, drückte das so aus: "Wenn eine Firma wie Chrysler, das ist ja schließlich nicht irgendwer, zusammengeht mit Mercedes und Mercedes die Führung dort übernimmt, dann deutet das für die Amerikaner in geradezu symbolischer Weise an, wie stark europäische Firmen, wie stark deutsche Firmen sind."
So überraschend der Coup kam, die Tatsache an sich war weniger erstaunlich. Daimler Benz als Hersteller von Luxuskarossen konnte gute Gewinne machen, weil das Image des Sterns komfortable Margen erlaubte. Doch verstärkt machten sich Massenhersteller wie VW, Ford oder Toyota im so genannten Premium Segment breit. Gleichzeitig sank die Zahl der selbständigen Autobauer kontinuierlich - von 42 im Jahre 1968 auf 16 im Jahre 1998, ein Prozess, der sich nach Ansicht von Branchenkennern fortsetzen wird. Überleben werden nur globale Unternehmen. Konzerne, die weltweit herstellen und verkaufen.
Im November 1998 wurde die neue Daimler Chrysler AG mit viel Pomp und Getöse an die Börse gebracht. Heute sei ein wunderbarer Tag, tönten Jürgen Schrempp und Robert Eaton unisono, wir beginnen eine Zukunft, in der wir die Welt der Automobilindustrie neu definieren. Und weil der Daimler jetzt nicht mehr schwäbisch spricht sondern englisch, wurde der Geburtstag des neuen transatlantischen Konzerns "Day One" genannt.
Der große Börsensaal an der New Yorker Wall Street wurde eigens mit 15 Fernsehkameras bestückt, sieben Satelliten übertrugen die Bilder und feierlichen Erklärungen in 261 Fabriken, Verwaltungen und Niederlassungen in 25 Ländern. Und jeder der weltweit damals 430.000 Beschäftigten bekam an diesem wunderbaren Tag von den Big Bossen eine Uhr geschenkt.
Mit deutscher Gründlichkeit wollte der kantige Manager Jürgen Schrempp, seit bald vier Jahren an der Daimler Spitze, diese Fusion zum Erfolg bringen. Die Fusion davor war ihm schief gegangen. Als er unbedingt den niederländischen Flugzeughersteller Fokker kaufen wollte, hatte er in seiner Begeisterung übersehen, dass das Unternehmen marode war. Seine Pleite kurz darauf bescherte dem Stuttgarter Konzern einen Milliardenverlust.
Der neue Deal nun schuf ein Unternehmen im Wert von fast 65 Milliarden Euro, das jedes Jahr mehr als vier Millionen Autos baut. Und eine Firma, die von vielen erst einmal sehr misstrauisch beäugt wurde: Wann wurden schon einmal Firmen zusammengeschlossen, deren Zentralen 10.000 Kilometer weit auseinander liegen? Und wie sollen zwei Konzerne zusammenpassen, von denen der eine teure Fahrzeuge baut und der andere eher simple Gebrauchsautos? Passen die Unternehmenskulturen zusammen?
Viele Mitarbeiter wollten darüber hinaus nicht glauben, was Jürgen Schrempp immer wieder versicherte: der Zusammenschluss schaffe neue Jobs. Ein Jahr nach dem spektakulären Coup sah sich die erste Welt-AG unter deutscher Führung auf Erfolgskurs. Und auf die erste gemeinsame Bilanz war Jürgen Schrempp mächtig stolz: "Unsere Zahlen zeigen, dass wir international in der Top-Liga ganz vorne mitspielen. Unser Produktportfolio und der Erfolg, den wir mit unseren Marken haben, beweist, dass Daimler Chrysler ein perfekter Bund ist, dass sich unsere Fahrzeugmarken nicht überlappen und dass wir auch geographisch so gut wie keine interne Konkurrenz haben."
Und in der Tat: Der Stern am Autohimmel hatte 1998 kräftig zugelegt und neue Rekordzahlen bei Ertrag und Umsatz eingefahren. Der Konzernumsatz konnte um zwölf Prozent auf rund 110 Milliarden Euro erhöht werden. Der Reingewinn stieg sogar um fast 30 Prozent auf satte neun Milliarden Euro.
2007 sahen die Bilanzen anders aus. Der deutsch-US-amerikanische Autokonzern DaimlerChrysler verkaufte die Mehrheit an der verlustreichen US-Tochter Chrysler an den US-Finanzinvestor Cerberus. Der Kaufpreis betrug 5,5 Milliarden Euro.
Autorin: Gerda Gericke |
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