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18.6.1811: Der erste Turnplatz |
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Im Berliner Stadtbezirk Neukölln, am Volkspark Hasenheide - um ganz genau zu sein, in der Fontanestraße Ecke Karlsgartenstraße - steht eine mächtige alte Eiche. Mit mehr als fünf Metern Stammumfang, einer Höhe von ungefähr 25 Metern und einem Alter von annähernd 500 Jahren ist der Baum eine imposante Erscheinung und als Naturdenkmal der Stadt Berlin registriert und geschützt.
Die Eiche ist aber auch ein Denkmal der Geschichte, denn sie markiert, wie es auf einer Gedenktafel heißt, die Geburtsstätte des deutschen Turnens. Am 18. Juni 1811 eröffnete der Turnpädagoge Friedrich Ludwig Jahn hier den ersten öffentlichen Turnplatz in Berlin und Preußen. Jahn war Lehrer am Gymnasium zum Grauen Kloster in Berlin.
In seiner Abhandlung "Deutsches Volkstum" schreibt er: "In schöner Frühlingszeit des Jahres 1810 gingen an den schulfreien Nachmittagen der Mittwoche und Sonnabende erst einige Schüler mit mir in Feld und Wald und dann immer mehr. Doch sonderte sich ein Kern aus, der auch im Winter als Stamm zusammenhielt und mit dem dann im Frühjahr 1811 der erste Turnplatz in der Hasenheide eröffnet wurde. Jetzt wurde im Freien öffentlich und vor jedermanns Augen von Knaben und Jünglingen mancherlei Leibesübungen unter dem Namen Turnkunst in Gesellschaft betrieben."
Körperliche Ertüchtigung
Die Reckübungen soll Jahn seinen Turnschülern an den Ästen der Eiche beigebracht haben, er entwickelte aber auch zahlreiche Turngeräte, so auch das Turnpferd, das im Gegensatz zu heute damals einen Schweif aus echtem Rosshaar hatte. Zum Spaß wurde damals allerdings nicht geturnt. Leibesübungen waren für den 1778 in der Westprigniz, im heutigen Brandenburg, geborenen Jahn eine Form von patriotischer Erziehung.
Er entwickelte das Turnen als körperliche Ertüchtigung zur Vorbereitung auf den Befreiungskrieg gegen Napoleon. In seinem Buch "Die deutsche Turnkunst" schreibt er: "Solange der Mensch noch hienieden einen Leib hat, was ohne Kraft und Stärke, ohne Ausdauer und Nachhaltigkeit, ohne Gewandtheit und Anstelligkeit zum nichtigen Schatten versiecht, wird die Turnkunst einen Hauptteil der menschlichen Ausbildung einnehmen müssen."
Das war zwar neu und unbekannt, fand aber Anklang und brachte Friedrich Ludwig Jahn großes Ansehen. Das stieg noch, nachdem sich seine Turner und Studenten im Lützowschen Freicorps gegen Napoleon bewährten, Jahn selbst war kurzzeitig Kompaniechef und Batallionskommandeur.
Berliner Turnerfehde
Nach dem Sieg über Napoleon entsandte ihn Fürst von Hardenberg zum Wiener Kongress, doch Jahn war mit der konservativen Politik nicht einverstanden. Er forderte die Einheit Deutschlands in einem Rechtsstaat mit Verfassung und beeinflusste damit auch Studenten, die 1815 die Deutsche Burschenschaft gründeten.
Mit seiner patriotischen Turnbewegung rief Jahn die Gegner der Einheit auf den Plan. Das Turnen gefährde Gesundheit und Moral, behauptete 1817 Professor Franz Daniel Friedrich Wadzeck, Bibliothekar an der Ritterakademie und beim Kadettencorps, und entfachte damit die sogenannte "Berliner Turnerfehde".
Noch im selben Jahr stellte König Friedrich Wilhelm III. 12.000 Turner in 150 Vereinen unter Polizeiaufsicht, und so fiel auch Turnvater Jahn, obwohl ihm die Ehrendoktorwürde der Universitäten Kiel und Jena verliehen wurde, in Ungnade. Die Ereignisse seit 1819 schildert Ilona Kulpiak vom Jahn-Museum in Freyburg an der Unstrut: "Man hat ihn dafür verantwortlich gemacht, dass das Turnen also die Jugend rebellisch macht und aufrührerisch. Man hat ja dann diesen (August von) Kotzebue (Schriftsteller und Staatsrat in russischen Diensten) ermordet, das war der Jenaer Burschenschaftler Karl Ludwig Sand. Und daraufhin hat man das Turnen in Deutschland verboten und Jahn ist in diesem Zusammenhang verhaftet worden. Er ist erst auf die Festung Spandau, dann auf die Festung Küstrin und von dort auf die Festung Kolberg gekommen. Nachdem er sechs Jahre in Untersuchungshaft gesessen hat, hat er dann eine Selbstverteidigung geschrieben, und aufgrund dieser Selbstverteidigung ist er freigesprochen worden."
Siegeszug der Turnkunst
Ein freier Mann war der Turnvater allerdings nicht, er durfte in keiner deutschen Universitäts- oder Gymnasialstadt wohnen und stand in den folgenden 15 Jahren unter Polizeiaufsicht. Jahn zog in das kleine Freyburg an der Unstrut im heutigen Sachsen-Anhalt, wo er bis zu seinem Tod im Jahr 1852 lebte.
Nach Freyburg konnte der Turnvater auch eines jener Turnpferde retten, auf denen er in der Berliner Hasenheide seine Schüler unterrichtet hatte, es steht heute noch in seinem ehemaligen Wohnhaus, aus dem das Jahn-Museum wurde. Den Siegeszug der Turnkunst erlebte der Turnvater übrigens noch, wenn auch seine Grundsätze und Ideen erst nach der Jahrhundertwende vollständig verwirklicht werden sollten.
1840 wurde Jahn amnestiert, zwei Jahre später wurde das Turnverbot in Preußen und allen deutschen Staaten aufgehoben. In der Hasenheide wurde seit 1844 wieder geturnt, hier wurde nach dem Tod des Turnvaters auch mit dem Bau eines Denkmals für Friedrich Ludwig Jahn begonnen, in das 139 Gedenksteine von Turnvereinen aus ganz Deutschland und aus dem Ausland eingelassen sind. In ganz Preußen wurde Turnen 1905 übrigens Pflichtfach - sowohl für Jungen als auch für Mädchen.
Autorin: Sabine Kinkartz |
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