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15.11.1959: Das Godesberger Programm |
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Kein führender SPD-Politiker hätte es Ende der 1950er-Jahre gelassen hingenommen, wenn man ihn als Neo-Liberalen, gar als "Genosse der Bosse" tituliert hätte - wie es Altkanzler Gerhard Schröder widerfuhr. Die SPD war damals auf Bundesebene reine Oppositionspartei mit einem Grundsatzprogramm, das noch aus dem Jahr 1925 datierte und die SPD bis Ende der 1950er-Jahre als Arbeiterpartei mit deutlich marxistischem Akzent definierte:"Im Kampfe gegen das kapitalistische System fordert die Sozialdemokratische Partei Deutschlands: Grund und Boden, Bodenschätze und natürliche Kraftquellen, die der Energieerzeugung dienen, sind der kapitalistischen Ausbeutung zu entziehen und in den Dienst der Gemeinschaft zu überführen."
Neu-Orientierung
Der kämpferische Ton dieses sogenannten Heidelberger Programms von 1925 entsprach allerdings spätestens seit 1945 nicht mehr der sozialdemokratischen Realität. Die SPD der Adenauer-Ära hatte zwar durchaus oppositionelle Ansichten in puncto Wiederbewaffnung und Westbindung - aber von der marxistischen Wirtschaftslehre etwa hatte sie sich in der Praxis längst verabschiedet.
Auch Sozialdemokraten konnten das heraufziehende Wirtschaftswunder nicht ignorieren. Im Mittelstand mussten neue Wählerschichten erschlossen werden und das marxistische Gedankengut war längst durch die Erfahrungen mit der DDR-Diktatur diskreditiert worden.
Am 15. November 1959 zog die SPD die Konsequenzen aus den Veränderungen der Nachkriegszeit. Auf ihrem historischen Parteitag in Bad Godesberg beschloss sie nach fast 100 Jahren den Wandel von der Arbeiter- zur Volkspartei. Alte Klassenkampfparolen wurden gestrichen, stattdessen hieß es nun: "Freie Konsumwahl und freie Arbeitsplätze sind entscheidende Grundlagen, freier Wettbewerb und freie Unternehmerinitiative sind wichtige Elemente sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik."
Und eine plausible Begründung wurde gleich mitgeliefert: "Schweren Rückschlägen und manchen Irrtümern zum Trotz hat die Arbeiterbewegung im 19. und 20. Jahrhundert die Anerkennung vieler ihrer Forderungen erzwungen (...) Diese Erfolge sind Meilensteine auf dem opferreichen Weg der Arbeiterbewegung. Sie hat mit ihrer wachsenden Befreiung der Freiheit aller Menschen gedient."
Das Godesberger Programm
Das Godesberger Programm wurde von einer breiten Mehrheit getragen: Nur 16 Parteidelegierte stimmten dagegen, 324 dafür - so auch der spätere - und erste - sozialdemokratische Bundeskanzler Willy Brandt. Er nannte drei Gründe für sein Votum: Erstens: Es ist ein im Ganzen und im Wesentlichen zeitgemäße Aussage, die uns in unserer Arbeit helfen wird und die es unseren Gegnern schwerer machen wird, sich mit einem Zerrbild statt mit der Wirklichkeit der Sozialdemokratie auseinanderzusetzen.
Zweitens: Es ist ein Programm, das die deutsche Sozialdemokratie nach den bitteren, noch nicht abgeschlossenen Erfahrungen mit dem Totalitarismus darstellt als eine kämpferisch-demokratische Freiheitsbewegung dieser Zeit, eine Partei, die den Mut hat und über die Kraft verfügt, als das zu erscheinen, was sie ist.
Und drittens: Es ist, so meine ich, ein Programm, das in seiner Gesamtaussage noch klarer als bisher unseren Standort bestimmt, wo es sich handelt um die entscheidend wichtigen Fragen unserer Stellung zum Staat und im Staat, einschließlich der bewaffneten Macht, unseres Verhältnisses zu den Kirchen und unserer Beurteilung dessen, was angesichts des Wandlungsprozesses der Wirtschaft erforderlich ist."
Das Godesberger Programm war zugleich der Beginn einer sozialdemokratischen Erfolgsstory: Es machte die Partei koalitions- und bald auch mehrheitsfähig. Es legte den Grundstein zu einer programmatischen Erneuerung der SPD in kritischer Auseinandersetzung mit veränderten Realitäten.
Bad Godesberg stand allerdings auch für einen - rückblickend fast naiv anmutenden - Zukunftsoptimismus in wirtschaftlicher Hinsicht. Die ökologischen Folgen wurden erst 30 Jahre später, im Berliner Programm von 1989, ausführlich berücksichtigt.
Autor: Rainer Sollich |
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