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2.12.1987: Duisburger Stahlarbeiter protestieren
"Am Bahnhof Duisburg-Rheinhausen Ost wächst Gras aus dem aufgebrochenen Bahnsteig. Mit mir ausgestiegen ist hier nur ein altes Ehepaar. Die frage ich nach Tor 1, denn dort bin ich verabredet. "Tor eins, das ist hier gleich gegenüber", sagt der Mann, und nach einigen Sekunden ruft mir die Frau hinterher: "Aber was wollen Sie da, da ist keiner mehr!"
Und in der Tat, jenseits des Eingangs erstreckt sich eine grasbewachsene Ödnis - am Horizont zeichnen sich die zwei Hochöfen als Rostgerippe ab. Links vom Tor steht eine schwarze Lore, ein Wagen für den Kohletransport zum Hochofen. Jemand hat mit weißer Farbe ein Kreuz draufgemalt und geschrieben: "Tod am 15. August 1993"."

Angefangen hatte alles am 26. November 1987, als die Chefs der Stahlkonzerne Krupp, Thyssen und Mannesmann verkündeten, enger zusammenarbeiten zu wollen. Das Opfer dieser Kooperation: das Stahlwerk Rheinhausen. Vier Tage später versucht Gerhard Cromme, damals Vorstandsvorsitzender von Krupp, auf einer Belegschaftsversammlung zu Wort zu kommen:

"Wir sind nach wie vor der Meinung und ich möchte deshalb keine falschen Hoffnungen aufkommen lassen, wir sind nach wie vor der Meinung, dass unser Konzept das richtige ist."

Mit diesem Eierregen auf Gerhard Cromme beginnt ein Arbeitskampf, der als einer der härtesten in die Nachkriegsgeschichte eingehen sollte.

Helmut Laakmann, leitender Hochofenexperte in Rheinhausen: "Es kann doch nicht sein, dass eine kleine Clique, eine kleine Mafia, mit den Menschen in diesem Lande macht, was sie will - Kruppsche Arbeiter, nehmt jetzt diese historische Stunde wahr, um endlich das auszufechten, was wir ausfechten müssen, für unsere Familien, für unsere Kinder, für die Menschen in diesem Lande, für die Städte..."

Die Rheinhausener Arbeiter ziehen zum Tor 1, das während dieses Arbeitskampfes zur zentralen Informations- und Anlaufstelle wird. Zwei Tage später, am 2. Dezember 1987, bricht dann der Verkehr rund um Duisburg völlig zusammen. Tausende Kruppianer waren von Tor 1 aufgebrochen und hatten die Rheinbrücken besetzt, um gegen die Schließung ihres Werkes zu protestieren.

Stahl-Bosse und Politiker hatten den Widerstand offenbar unterschätzt. Ministerpräsident Johannes Rau eilt ins Stahlwerk, um die Arbeiter zu beruhigen; der Duisburger Oberbürgermeister kommt nur deshalb noch im Stahlwerk an, weil er ohne Helm auf einem Polizei-Motorrad durch den Verkehrsstau mitfahren darf.

Johannes Rau, Ministerpräsident NRW: "Ich kann eine gewissen Enttäuschung verstehen - viele haben mehr erwartet; den Stahlarbeitern von Rheinhausen versichere ich, ich hätte nicht unterschrieben, wenn ich irgendeine Chance zu einer noch besseren Lösung gesehen hätte."

Johannes Rau, der damalige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, hat den richtigen Ton nicht getroffen, als er Anfang Mai 1988 in einer maßlosen Untertreibung von einer "gewissen Enttäuschung" bei den Stahlarbeitern spricht. In einer turbulenten Belegschaftsversammlung am 3. Mai werden Gewerkschaftsvertreter und sogar der Betriebsratsvorsitzende ausgepfiffen.

Die Belegschaft des Krupp-Stahl-Werkes in Duisburg-Rheinhausen hatte 160 Tage im kalten Winter 1987/1988 für ihr Werk gekämpft. Am Ende hatte sie lediglich erreicht, dass die Hochöfen in einem der modernsten Stahlwerke Deutschlands ein paar Jahre später ausgehen.

22. Juni 1999. Sechs Jahre hat es gedauert, bis die Krupp-Stahl-AG geruhte, das zum Schrottplatz verkommene Rheinhausen-Gelände an die landeseigene Duisburger Häfen AG zu einem angemessenen Preis zu verkaufen. Auf einer Pressekonferenz verkünden die Landespolitiker stolz, dass auf dem Gelände jetzt ein Logistik-Zentrum entstehen soll mit 5.000 "zukunftsfähigen" Arbeitsplätzen.

Doch die kommen zu spät. Als das Stahl-Werk Rheinhausen am 15. August 1993 endgültig die Tore schloss, gingen 600 Menschen in die Arbeitslosigkeit. Immerhin: In 160 Tagen Arbeitskampf hatten die Arbeiter einen Sozialplan erkämpft, der für viele der 5.300 Rheinhausener Stahlarbeiter einen sanften Übergang bedeutete - entweder in andere Stahlwerke bis hin nach Dortmund oder in den Vorruhestand.

Und im Sozialplan wurde die Gründung von Beschäftigungsgesellschaften festgeschrieben - damals ein Novum in Deutschland: Die einstige Kruppsche Lehrwerkstatt bietet überbetriebliche Ausbildungslehrgänge an und ein Unternehmen bildet Langzeitarbeitslose am Objekt aus, an der Demontage des Stahlwerkes.

Geschäftsführer Theo Steegmann ist einer der Führer des Arbeitskampfes vor zwölf Jahren. Er war damals stellvertretender Betriebsratsvorsitzender in Rheinhausen. Noch immer hat er vor allem die beschäftigungspolitischen Folgen der Krupp-Thyssen-Mannesmann-Entscheidung vor Augen:

"Wenn Sie das unter dem Gesichtspunkt sehen, dass wir hier mal (1974) 8.000 Beschäftigte hatten, und was da jetzt in den letzten Jahren bei Stahl und Kohle abgebaut worden ist, ist das natürlich ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir rudern verzweifelt schon in diesen ganzen Jahren, in denen ich in so Kreisen zur Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen gesessen habe, an der Frage herum, in welchen Bereichen ist denn Arbeit überhaupt noch zu schaffen?"

Autor: Johannes Duchrow
   
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