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13.2.1923: Duineser Elegien veröffentlicht |
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"Wer tut sich denn so was an, das versteht doch kein Mensch", soll ein Zeitgenosse gesagt haben. Andere wiederum feierten die zehn Gedichte als das Hauptwerk deutscher Dichtkunst, die Duineser Elegien von Rainer Maria Rilke. Und sie klingen so:
"Warum, wenn es angeht, also die Frist des Daseins
hinzubringen, als Lorbeer, ein wenig dunkler als alles
andere Grün, mit kleinen Wellen an jedem
Blattrand (wie eines Windes lächeln) - warum dann
Menschliches müssen- und Schicksal vermeinend,
sich sehnen nach Schicksal?"
Schwere Kost, dunkel und klagend. Sicherlich gehören die Elegien durch ihren eigenwilligen Duktus und ihre verschlüsselte Symbolik zu den am schwersten zugänglichen Werken deutscher Lyrik. Aber dennoch, und da sind sich die Kritiker einig, stellen sie genauso wie der im gleichen Jahr fertiggestellte Roman von James Joyce Ulysses, der ja nun auch nicht eben einfach zu verdauen ist, einen absoluten Höhepunkt der deutschen Literatur dar.
Rilke selbst hat die Elegien als sein Hauptwerk bezeichnet. Zehn Jahre hat er an ihnen geschrieben. Gefördert von reichen Gönnerinnen, hielt es den dürren Mann mit den wahnsinnigen Augen und dem auffälligen Schnäuzer, nie lange an einem Ort. Russland, Paris, Spanien, Afrika, Stationen seines aristokratisch geführten Lebens. Genannt hat er die Elegien nach Schloss Duino, wo er sie begonnen hat.
Nach der Vollendung schrieb er der Herrin von Duino, der Gräfin von Thurn und Taxis, folgende Zeilen: "Endlich Fürstin, der gesegnete Tag, da ich ihnen den Abschluss - soweit ich sehe - der Elegien anzeigen kann. Zehn! Von der letzten, großen (zu dem in Duino einst begonnenen Anfang: "Dass ich dereinst, am Ausgang der grimmigen Einsicht, Jubel und Ruhm aufsinge zustimmenden Engeln") von dieser letzten, die ja auch, damals schon, gemeint war, die letzte zu sein, - von dieser - zittert mir noch die Hand!. Eben, Samstag, den elften, um sechs Uhr abends, ist sie fertig! Alles in ein paar Tagen, es war ein namenloser Sturm, ein Orkan im Geist (wie damals auf Duino), alles was Faser in mir ist und Geweb, hat gekracht, - an Essen war nie zu denken, Gott weiß, wer mich genährt hat. Aber nun ists."
"Erde, ist es nicht dies, was du willst: unsichtbar
in uns ersteh? Ist es dein Traum nicht,
einmal unsichtbar zu sein? - Erde! unsichtbar!
Was, wenn Verwandlung nicht, ist dein drängender Auftrag?
Erde, du liebe, ich will."
Der Ölbaumgarten, die Flamingos oder besonders der berühmte Blick des Panthers, dessen Blick so müde geworden ist, dass er nichts mehr hält, das war, wie wohl fast jeder Pennäler am eigenen Leibe erfahren hat, Lyrik die sehr viel leichter eingängig war.
"Sein Blick ist vom Vorrübergehen der Stäbe so müd geworden, dass er nichts mehr hält, ihm ist, als gäb es tausend Stäbe und hinter tausend Stäben keine Welt."
In den Duineser Elegien versucht Rilke die Daseinsprobleme des neuzeitlichen Menschen insgesamt anzusprechen. Auf Interpretationshilfe von ihm selbst war übrigens nicht zu hoffen. Rilke fühlte sich nicht als Schöpfer der Elegien, sondern als Empfänger, als das "Gefäß, in das sie gegossen wurden".
"Und bin ich es, der den Elegien die richtige Erklärung geben darf? Sie reichen unendlich über mich hinaus."
An einer anderen Stelle heißt es: "Wo ein Dunkel bleibt, da ist es von der Art, dass es nicht Aufklärung, sondern Unterwerfung fordert."
Und da Rilke nicht das Verstehen, die sondern die Unterwerfung wollte, füllen die Interpretationsversuche ganze Bücherschränke.
"Ein klares Bekenntnis zum Christentum", meint der eine. "In der Tradition Hölderlins steht er und entschwebt uns in die reine Ästhetik", meint der andere. Von kitschig und maßlos überschätzt bis Musik zum Lesen, gehen die Urteile. Brecht schrieb, das Ganze sei eine Flucht von der Banalität in den Snobismus, Robert Musil meinte, dass das deutsche Gedicht nun vollkommen sei.
Vollkommen oder nicht. Vier Jahre nach der Veröffentlichung starb der ewig kränkelnde Rilke 51-jährig an Leukämie. Über seinem Grab in Val-Mont bei Montreux spricht ein Trauergast Verse aus den Duineser Elegien:
"Siehe, ich lebe. Woraus? Weder Kindheit noch Zukunft
werden weniger. Überzähliges Dasein
entspringt mir im Herzen."
Autor: Ramón García-Ziemsen
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