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13.5.1981: Mordanschlag auf den Papst
"Wie der Papst eingefahren ist in den Petersplatz und die Leute freundlich begrüßt hat und zu den Leuten hingefahren ist, auf einmal ganz in unmittelbarer Nähe von uns, ca. 30,35 Meter entfernt, beugt sich der Papst in die Menge vor und gibt den Leuten die Hand. Und auf einmal fielen zwei Schüsse, also ich hab allerdings noch ein Echo gehört, es waren aber nur zwei Schüsse, und dann kamen, wie der Papst nach vorn über fiel und sich nicht mehr bewegte, und dann entstand ein furchtbarer Tumult, dann hat man halt gesehen, die Aufregung war natürlich viel zu groß, auch bei uns, wie sie alle gelaufen sind und den Täter gefasst haben."

Der Täter wurde, wie der österreichische Rundfunk-Kollege unter dem Schock des Ereignisses in seiner Reportage schildert, noch auf dem Petersplatz überwältigt und bereits zwei Monate später von einem römischen Gericht zu lebenslanger Haft verurteilt.

Es handelt sich um den damals 23-jährigen türkischen Studenten Mehmet Ali Agca, der zwei Jahre zuvor in der Türkei zum Tode verurteilt worden, aber nach Bulgarien geflohen war. Die ihm zur Last gelegte und im Prozessverlauf eindeutig nachgewiesene Tat war die Ermordung des Chefredakteurs der links gerichteten Tageszeitung "Milliyet".

Ali Agca hatte sich vor dem Gericht in Rom selbst als Mitglied der "Grauen Wölfe", einer extrem nationalistischen und rechtsextremistischen Organisation bezeichnet, sich aber ansonsten ausgeschwiegen. Er wurde als Einzeltäter verurteilt, doch die Gerüchte und Spekulationen um etwaige Hintermänner des Attentats rissen vom ersten Tag nach der Verhaftung Agcas nicht mehr ab.

So fragte der "Spiegel" in seiner Ausgabe vom 18. Mai 1981: "Was trieb ausgerechnet einen anatolischen Bauernsohn aus Malatya, einen berüchtigten Killer der türkischen Terror-Szene, dazu, das Oberhaupt der katholischen Christenheit töten zu wollen!?"

Auch "Die Zeit" meldete Zweifel an: "Sein Anschlag war lange mit Bedacht geplant, ebenso der Fluchtweg nach der Tat und die Aussagen, mit denen er, falls er gefasst würde, die Spuren verwischen sollte. Sie führen ins Niemandsland der west-östlichen Spannungsfronten, wo Minen jeglicher ideologischer Herkunft umherliegen."

Ein Jahr nach seiner Verurteilung brach Agca sein Schweigen und behauptete, er habe das Papst-Attentat im Auftrag des bulgarischen Geheimdienstes KDS ausgeführt. Der Vertreter der bulgarischen Fluggesellschaft Balkanair in Rom, Segei Antonoff, wurde darauf hin als vermuteter Führungsagent Agcas zusammen mit zwei weiteren Bulgaren verhaftet. Die östliche Polemik gegen den auf Bulgarien gerichteten Verdacht argumentierte mit der nicht ganz unberechtigten Frage, wie einem in der Türkei verurteilten Mörder überhaupt Glauben geschenkt werden könne.

Die "Neue Züricher Zeitung" schrieb in einem sehr ausführlichen und abwägenden Artikel zu dieser Frage: "Diese Spuren nach Bulgarien gewannen allerdings an Glaubwürdigkeit durch die Erinnerung an frühere Taten des bulgarischen Geheimdienstes KDS, wie zum Beispiel die ingeniösen Mordanschläge durch mit Giftkugeln geladene Regenschirme auf Emigranten in London und Paris oder seine Verbindungen zu italienischen Terroristen bei der Entführung des US-amerikanischen Generals Dozier. Im Zusammenhang damit lag auch die Überlegung nahe, dass, falls es tatsächlich einen solchen "bulgarischen Konnex" hinter Agca gibt, dieser nicht ohne Wissen und Auftrag Moskaus operativ werden konnte, denn der bulgarische KDS steht unter Kontrolle des sowjetischen KGB, der damals noch vom neuen Partei-Chef Andropov geleitet wurde."

Doch die Vernehmungen der verhafteten Bulgaren und dreier türkischer Verbindungsleute erbrachten keinen zwingenden Beweis für das vermutete Komplott des kommunistischen Ostens gegen den Beschützer der polnischen Solidarnocz und geistigen Vater der weltweiten antikommunistischen Allianz. Und so hält sich bis heute noch eine andere unbewiesene Hypothese: Agca sei erst hinter Gittern von westlichen Geheimdiensten "umgedreht" und mit entsprechenden Informationen versorgt worden, um den Verdacht und damit die weltweite Empörung gegen Moskau zu lenken.

Die "Züricher Weltwoche" erwähnt in ihrer Ausgabe vom 29. Dezember 1982 sogar die These des italienischen Sozialisten Lagorio, der im Papst-Attentat eine Ersatz-Handlung sieht, eine Alternative zur Invasion Polens durch die übrigen Warschauer Pakt-Staaten. Die Ausrufung des Kriegsrechtes durch den polnischen Präsidenten Jaruzelski am 13. Dezember 1981 trage in dem Zusammenhang den Charakter einer Verlegenheitslösung nach dem letztlich gescheiterten Anschlag vom 13. Mai desselben Jahres.

Insgesamt drängt sich der Eindruck auf, dass aufgrund der damaligen politischen Weltlage - der Westen hatte sich definitiv zur friedlichen Koexistenz mit dem kommunistischen Ostblock entschlossen - eine restlose Aufklärung mit dem klaren Ergebnis eines bulgarisch-russischen Komplotts nicht opportun erschien.

Die "Weltwoche" zitiert in der erwähnten Ausgabe einen italienischen Humoristen, der dem Papst die Worte in den Mund legt: "Ich bin wirklich froh zu erfahren, dass es also keine Verschwörung gegeben hat. Noch mehr wird es mich freuen, wenn erwiesen wird, dass auch nie ein Attentat gegen mich unternommen worden ist."

Autor: Norbert Ahrens
   
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