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15.5.1925: Reichsrundfunkgesellschaft
Berlin 1923: Die Damen tragen Bubikopf, Fransenkleider und große Broschen, getanzt wird Shimmy, Reichspräsident Friedrich Ebert hat das Deutschlandlied gerade zur Nationalhymne bestimmt. Ein Dollar ist 4,2 Billionen Mark wert, feine und auch gar nicht feine Leute können sich die Zigaretten mit Millionenscheinen anzünden. 500 Trillionen Papiermark sind im Umlauf - und doch haben viele nicht genügend Geld, auch nur die Butter aufs Brot zu bezahlen.

Und dann, am 29. Oktober des Jahres 1923 um 20.00 Uhr dies: Rauschen, Krächzen, Knistern - dann eine Stimme, die mit dem Ernst eines Bahnhofvorstehers ausruft:

"Achtung, Achtung! Hier ist Berlin Vox-Haus. Meine Damen und Herren, wir machen Ihnen davon Mitteilung, dass am heutigen Tage der Unterhaltungsrundfunkdienst mit Verbreitung von Musikvorführungen auf drahtlos-telefonischem Wege beginnt. Die Benutzung ist genehmigungspflichtig."

Das ist die Geburtsstunde der ersten öffentlichen Radiosendung in Deutschland.

Berlin 1925: Paul von Hindenburg ist zur Überraschung vieler Reichspräsident geworden, Albert Einstein ein berühmter Mann, obwohl seine wissenschaftliche Lehre von keinem Normalbürger verstanden wird. Die Inflationskrankheit heilt aus, zwei Reichsmark monatlich bezahlt, wer sein Radio ordnungsgemäß anmeldet. Und das sind 1925 immerhin schon eine Million Hörer, die mittlerweile die Programme von zehn Sendern auf dem Gebiet des deutschen Reiches empfangen können.


Am 15. Mai 1925 schließen sich diese zehn privatwirtschaftlich organisierten regionalen Sendegesellschaften zur Wahrnehmung gemeinsamer Interessen zur Reichs-Rundfunkgesellschaft mbH, Berlin zusammen.

Am fünften Jahrestag der Gründung am 15. Mai 1930, zieht der damalige Reichsrundfunkkommissar Hans Bredow Bilanz:

"An zehn Stellen des Reichs gleichzeitig wird diese Arbeit geleistet. 28 Rundfunksender senden ihre Wellen aus. 30.000 Mitwirkende müssen jährlich herangeholt, tausende von Proben durchgeführt, Berge von Manuskripte bearbeitet werden, um den Millionen von Hörern deutscher Rundfunkprogramme täglich etwas zu bieten. Aus dem kleinen Rundfunk vor fünf Jahren, als die Reichs-Rundfunkgesellschaft am 15. Mai ins Leben trat, ist jetzt ein Apparat geworden, wie ihn nur unser Zeitalter der unbegrenzten Möglichkeiten schaffen konnte."

Die Sendungen des Rundfunks sind offiziell zur "Neutralität" verpflichtet, Nachrichten, Politik, Informationen oder Kommentare zum Zeitgeschehen sind lange tabu. Reichsgesetze regeln, dass die Programme strikt unpolitisch sind und ausschließlich der Bildung und Unterhaltung dienen.

Reichsrundfunkkommissar Hans Bredow bringt den Auftrag seiner Gesellschaft auf den Punkt wenn er sagt: Das Radio solle "zerstreuen und ein wenig bilden". Gleichzeitig gedenkt er "(...) dankbar unseres deutschen Landmanns Heinrich Hertz, dessen Entdeckung, die elektrische Welle, der Menschheit Aufmunterung und Anregung ins Heim bringt, das Leben bereichert, es freudiger gestaltet und eine Brücke von Volk zu Volk geschlagen hat."

Doch das geht nicht lange gut. Die Politiker entdecken die Vorteile des neuen Instruments Radios: viele Ohren auf bequeme Art zu erreichen. Schon 1926 wird die Rede des damaligen Außenministers Gustav Stresemann vor dem Völkerbund in Genf in den Äther gepustet. Im selben Jahr erhält der Staat die Aufsicht über die Rundfunkwellen. Aus den privaten Gesellschaften werden öffentlich-rechtliche Anstalten.

Über die gegründete Reichs-Rundfunkgesellschaft übernimmt die Deutsche Reichspost schließlich die Steuerung. Sie besitzt 51 Prozent des Kapitals. Ende der 1920er Jahre spitzt sich die politische Radikalisierung in Deutschland zu. Über zehn Millionen Menschen sind arbeitslos, die Wirtschaft liegt am Boden, die Weimarer Republik taumelt von einer Krise zur nächsten. Immer häufiger versuchen jetzt auch Parteien und politische Gruppierungen auf den Rundfunk Einfluss zu nehmen. Mit wachsendem Erfolg.

1932 verliert das Radio unter der Regierung Franz von Papens endgültig seine Unabhängigkeit und wird zum Staatsorgan. Ein Jahr später nach Übernahme der Macht durch die Nationalsozialisten dann der brutale Einsatz des Rundfunks als Propagandainstrument.

Autorin: Gerda Gericke
   
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