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15.11.1905: Motor-Omnibusse in Berlin
Am 15. November 1905 läutete den Berliner Pferdeomnibussen das Sterbeglöckchen. Vom Werksgelände der Daimler Motorengesellschaft in Berlin rollten die ersten beiden benzingetriebenen Kraft-Omnibusse. Vier Tage später - an einem Sonntag - war Jungfernfahrt.

Doch es war eine Premiere mit Pannen. "Infolge der noch recht rauhen Fahrtechnik", heißt es in einer Chronik, wurde eine Scheibe zerstoßen, so dass der erste Bus ausfallen musste. Mit Wagen Nr. Zwei dann ging alles glatt. 37 Personen durften einsteigen, 16 ins Wageninneren, drei auf den Perron und 18 auf das offene Oberdeck. Hier oben an der frischen Luft - vom Volksmund schnell "Blumenbrett" genannt - war die Fahrt mit zehn Pfennig am billigsten, unten kostete es das Doppelte. 3900 Berliner ließen sich die erste Fahrt Tag eines Motor-Omnibusses nicht entgehen.

Im "Berliner Tageblatt" war am nächsten Morgen zu lesen: "Jetzt tönt das Abfahrtzeichen. "Töff, töff" klingt die Hupe mit wohltuend gedämpfter Stimme. Keine Bremse schlägt mehr knatternd an die Vorderwand. Kein Petroleumdunst schwängert die Luft des Innenraumes. Und nun erst die Fahrt selber. Herrlich. Lautlos. Nur das leise knirschen der mächtig breiten Hinterräder, die auf Vollgummi laufen. Wenn es kalt wäre, würde das heiße Kühlwasser der Motoren durch Röhren laufen und den Innenraum heizen. Drei Glühbirnen an der Decke verkünden, dass der neue Omnibus künftig am Abend nicht mehr ein Gegenstück zur ägyptischen Finsternis bilden wird."

Die Benziner verkehrten in der Berliner City im "Schnellverkehr", wie es damals hieß. Statt 33 Minuten dauerte die Fahrt jetzt nur noch 24 Minuten. Was aber nicht allein dem Motor zuzuschreiben war. Zeitgleich wurden für die Omnibusse Haltestellen eingeführt, wie es bei den Straßenbahnen schon üblich war. Die weiterhin parallel verkehrenden Pferdewagen dagegen mussten auf Zuruf halten, den der Conducteur entgegennahm. Den Kutscher informierte er, indem er an einer Leine zog, die an dessen linkem Arm befestigt war.

Nach der Jahrhundertwende hatte der Pferdeomnibus in Berlin aber einen schweren Existenzkampf zu führen. Die Elektrifizierung der Straßenbahn war 1902 abgeschlossen, Hochbahn und U-Bahn beförderten die Berliner schneller und pünktlicher. Da musste die Allgemeine Berliner Omnibus Aktiengesellschaft mithalten, begründet Rainer Lawerentz, Direktor der Berliner Verkehrsbetriebe, die Entscheidung seiner Vorgänger, statt Pferde jetzt Motoren einzusetzen: "Der Vorteil lag einfach darin, dass mit einem motorgetriebenen Omnibus man mehr Menschen befördern konnte und vor allen Dingen viel schneller. Um so größer die Wagen wurden, um so mehr Fahrgäste man befördern wollte, war das natürlich für die Pferde immer schwieriger bei Steinen, Kopfsteinpflaster, überhaupt die Kraft des Pferdes auf die Straße bringen zu können, weil sie natürlich bei Kopfsteinpflaster mit ihren Hufen immer mehr abrutschten, wegrutschten und das also die Möglichkeit der Vergrößerung der Fahrgastzahl natürlich da ihre Grenzen hatte."

Zu jedem Omnibus gehörten fünf Gespanne. Mehrmals am Tag brachten die Stallleute frische Pferde zur Ablösung zu den Endstationen. Nach 20 bis 30 Kilometern waren die Tiere erschöpft, so sagte Lawerentz: "Und im übrigen mussten die Pferde, daran muss man ja auch mal erinnern, nach einem gewissen Einsatz, oder nach einer gewissen Einsatzzeit, dann zur Monte, zur Wiederherstellung. Sie mussten dann außerhalb der Stadt auf eine Weide gebracht werden."

Obwohl für Benzin- später dieselgetriebene Busse - ein solcher Aufwand ja nicht betrieben werden musste, fuhren die "Busse ohne Pferde" - wie die Berliner schnell sagten - nicht wirtschaftlich. Kurz drauf starteten darum Versuche mit einem Dampfomnibus und zwei Decksitz-Akkumulator-Wagen. Doch der Motor ging als klarer Sieger aus diesem Wettrennen hervor, weiß Dieter Lawerentz: "Die zweite Fahrzeuggeneration, die so um 1913, 14, 15 entstanden ist und gebaut worden ist, das waren dann die Fahrzeuge, die den tatsächlichen Durchbruch realisiert haben ..."

Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges krochen immerhin schon 336 "Wagen für alle", wie die Übersetzung des lateinischen Wortes Omnibusses lautet - durch die Stadt.

Wobei die Vorläufer der heutigen "Großen Gelben" hauptsächlich den Männern diente. Frauen konnten aus Gründen der "Schicklichkeit" seinerzeit die Wendeltreppe zum Oberdeck nicht erklimmen und unten soll es stets Ärger mit den gewaltigen Hüten gegeben haben, die zudem von ungeschützten Hutnadeln gehalten wurden und eine Bedrohung für die Umwelt waren. Noch 18 Jahre lang konnten die Damen den Motor-Omnibus meiden und sich mit zwei Pferdestärken durch die Stadt ziehen lassen. Dann musste auch der letzte Vierbeiner zum Rossschlächter.

Autorin: Gerda Gericke
   
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