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16.11.1995: Lafontaine stürzt Scharping |
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"Die Zukunft gewinnen", so lautet das Motto dieses Bundesparteitages der Sozialdemokraten vom 14. bis zum 17. November 1995 in Mannheim. Entschlossenheit soll und will der Parteivorsitzende Rudolf Scharping vermitteln, Aufbruchstimmung, den monatelangen Querelen um die Führung der Partei ein Ende setzen. Doch genau diese Signale sendet er in seiner Eröffnungsrede nicht aus:
Scharping: "Genossinnen und Genossen, ich habe mich manchmal gefragt: wie lange sollst Du Dir den gutgemeinten Rat, das Schulterklopfen oder 'in-den-Arm-nehmen' Deiner Freunde, wie lange die Fragen Deiner Kinder anhören: warum macht man so etwas? Ich weiß, dass wir viel besser werden müssen, als wir sind - ich auch."
So redlich er sich auch müht mit Kritik und - vor allem - Selbstkritik, die Delegierten quittieren es allenfalls mit artigem Beifall. Lustlos plätschert der Parteitag dahin. Und dann kommt er, am Nachmittag des zweiten Tages: Oskar, 'der Saarländer', Lafontaine. Er spricht über Wirtschaft, Arbeitsmarkt und Außenpolitik und reißt die Delegierten von den Stühlen.
Lafontaine: "Ihr sehr also, liebe Genossinnen und Genossen, es gibt noch Politikentwürfe, für die wir uns begeistern können! Und wenn wir selbst begeistert sind, können wir auch andere begeistern! In diesem Sinne: Glückauf!"
Es ist nicht der Inhalt, es ist die Art seines Vortrags, für den er, wie ein Chronist notiert, 62 Sekunden orkanartigen Beifall' erhält. Die rhetorische Meisterleistung des saarländischen Ministerpräsidenten findet ihr Pendant in dem Wunsch der Delegierten nach Führung, Begeisterung, ja Leidenschaft und Motivation. Freud hätte hier seine wahre Freude gehabt. Macchiavelli nicht minder. Am nächsten Morgen, es ist Donnerstag, der 16. November, kurz nach neun Uhr morgens - Rudolf Scharping tritt die Flucht nach vorn an:
Scharping: "Unsere Partei braucht aber auch etwas. Sie braucht Klarheit."
Auch Lafontaine erklärt seine Kandidatur für den Parteivorsitz: "Ich kandidiere für die Politik, die ich seit Jahren vertrete."
Um 10.50 hat die SPD einen neuen Parteivorsitzenden: "Es wurden abgegeben auf Oskar Lafontaine 321 und auf Rudolf Scharping 190 Stimmen."
War es ein Königsmord auf die feine, demokratische Art? Ein Putsch, ein Coup von langer Hand vorbereitet, ein Show-down ? Die Kommentatoren werden sich die Finger wund schreiben, kaum dass die Worte des neuen Hoffnungsträgers verklungen sind:
"Es ist für mich ein bewegender Moment. Es ist nicht einfach, ein Amt zu übernehmen, dass Willy Brandt, Jochen Vogel, Björn Engholm und Rudolf Scharping für uns geführt haben. Ich weiß um die Schwere der Verantwortung."
Mit steinerner Miene nimmt der unterlegene Rudolf Scharping das Ergebnis zur Kenntnis. Aber er zeigt Stil: "Oskar, manches hat bitter wehgetan. Aber wir müssen jetzt die Kraft finden, die Schmerzen der Vergangenheit hinter uns zu lassen, denn wir haben eine Aufgabe, die wichtiger ist als wir selbst."
Oskar Lafontaine wird die SPD erfolgreich in die Bundestagswahl 1998 führen und Finanzminister werden. Nur fünf Monate später, im März 1999, wird er seine Regierungs- und Parteiämter geradezu fluchtartig verlassen.
Autorin: Christa Kokotowski |
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