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20.2.1909: "Manifest des Futurismus" |
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Kampf den alten Werten, für eine neue Ästhetik. Dies beschließt ein Grüppchen italienischer Maler und Literaten in einer durchzechten Nacht. Eine wilde Autofahrt der aufgehenden Sonne entgegen soll den neuen Künstlerbund besiegeln. Die Fahrt endet im Straßengraben, die Idee schafft es bis aufs Papier, im "Manifest des Futurismus": "Wir erklären, dass der Glanz der Welt sich um eine neue Schönheit bereichert hat: Um die Schönheit der Geschwindigkeit. Nur im Kampf ist Schönheit. Kein Meisterwerk ohne aggressives Moment. Die Dichtung muss ein heftiger Ansturm gegen unbekannte Kräfte sein, um sie aufzufordern, sich vor den Menschen zu beugen."
Radikale Neuerer
"Futurismus" nennt sich das radikale ästhetische Konzept für alle Lebensbereiche. Erfunden wird es von dem Literaten und Journalisten Emilio Filippo Tommaso Marinetti. Am 20. Februar 1909 veröffentlicht er die Grundsätze der Futuristen in elf Artikeln auf der ersten Seite des "Le Figaro". Seine radikalen Thesen schlagen wie Blitze in die morsche Welt des feudalen Europa vor dem Ersten Weltkrieg.
Zitat aus dem "Manifest des Futurismus": "Wir wollen die Museen, die Bibliotheken zerstören, den Moralismus bekämpfen, den Feminismus und alle opportunistischen, Nützlichkeit bezweckenden Feigheiten."
Die Futuristen verstehen sich als radikale Neuerer. Die Reform, die der bildenden Kunst durch den Jugendstil zuteil geworden ist, geht ihnen noch lange nicht weit genug. Auf futuristischen Bildern werden Formen aufgelöst. Dinge werden gleichzeitig gezeigt, die man eigentlich nicht gleichzeitig sehen kann, zum Beispiel ein Gesicht sowohl von vorne, als auch im Profil.
Richtungsweisend
In der bildenden Kunst wird der Futurismus damit zum Ausgangspunkt bedeutender Stilrichtungen wie Kubismus, Surrealismus oder Konstruktivismus. Futuristische Dichtung benutzt eine radikal verknappte Sprache. Der Dadaismus wird diese Technik später vervollkommnen.
In der gesamten Kunstwelt Europas findet der Futurismus Anhänger. Sein Sprachrohr ist die von Marinetti geleitete Zeitschrift "Poesia". Hier sind die Ideen nachzulesen, die die Futuristen außer in Malerei und Literatur auch in Musik, Theater, Film, Radio, Mode, Ernährung - letztlich in jeden Lebensbereich - tragen wollen. Überall soll mit Traditionen gebrochen, Überfeinerung und Bequemlichkeit bekämpft werden.
Politischer Brandsatz
Was auf dem Gebiet von Kunst und Kultur als harmlose Laune aufbegehrender Künstler gelten mag, wird auf dem Gebiet der Politik zum Brandsatz. Die politischen Ideen der Futuristen ergehen sich in blanker Gewaltverherrlichung und werden teilweise in die Programme der Faschisten übernommen, Zitat aus dem "Manifest des Futurismus": "Wir wollen den Krieg preisen, diese einzige Hygiene der Welt, den Militarismus, den Patriotismus, die zerstörende Geste der Anarchisten, die schönen Gedanken, die töten, und die Verachtung des Weibes."
"Manifest der futuristischen Frau"
Trotz der ausdrücklichen Frauenfeindlichkeit in den Futuristischen Manifesten fühlen sich auch Frauen zum Futurismus hingezogen. Die Literatin Valentine de Saint-Point verfasst ein eigenes "Manifest der futuristischen Frau" und steht den Männern an Brutalität um nichts nach: "Was den Frauen ebenso wie den Männern am meisten fehlt, ist Mannheit. Um unseren in der Weibheit erstarrten Rassen Mannheit zu geben, muss man sie zur Brutalität heraufreißen. Männern und Frauen muss man ein neues Energie-Dogma auferlegen, um endlich zu einer höheren Menschheit zu gelangen."
Ironie der Geschichte
Auf den Schlachtfeldern des Ersten und Zweiten Weltkriegs werden viele Futuristen mit der Tragweite ihrer Worte konfrontiert. Sie müssen kämpfen, werden verwundet, lassen ihr Leben. Enrico Filippo Tommaso Marinetti kämpft noch als 65-jähriger vor Stalingrad.
Schwerkrank kehrt er heim und stirbt am 2. Dezember 1944. Ausgerechnet die, die er auf so fatale Weise inspiriert hat, haben schon vorher für seine neue Ästhetik, den Futurismus, ihr eigenes Wort gefunden: "Entartete Kunst."
Autorin: Catrin Möderler |
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