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13.3.1848: Wiener Märzrevolution beginnt
Europa bebt. Zuerst in Paris, am 24. Februar 1848, als aufständische Handwerker, Studenten, Arbeiter und Teile der Nationalgarde vor dem Hintergrund von Hungersnot und Wirtschaftskrise den "Bürgerkönig" Louis Philippe aus dem Palais Royal vertreiben und die Republik ausrufen.

Dann am 13. März 1848 Wien, Bürger und Studenten hatten genug von 30 Jahren Unterdrückung, Zensur und Verfolgung durch den konservativen österreichischen Fürsten Metternich, seit dem Wiener Kongress von 1815 der mächtigste Mann im Deutschen Bund. Am 13. März kommt es zum offenen Aufstand: Die Massen aus Studenten, Bürgern und Arbeitern verlangen vor der Wiener Hofburg in erster Linie die Aufhebung der Zensur. Das Militär schießt plötzlich wahl- und rücksichtslos in die Menge, es gibt Tote und Verletzte, die Situation eskaliert. Aus der Bürgerrevolte wird eine Revolution.

Die Demonstranten flüchten und bauen in der Wiener Innenstadt Barrikaden. Gleichzeitig brechen in den Arbeitervorstädten Sozialrevolten aus: Maschinenstürmer greifen öffentliche Gebäude und Fabriken an; Bäckerläden, Gasthäuser und Geschäfte werden geplündert. Überall entwickeln sich blutige Straßenkämpfe mit dem Militär. Die Regierung war auf solche Kampfeswut nicht vorbereitet. Nach zwei Tagen ziehen sich die Truppen der Wiener Garnison zurück, nicht ohne den Aufständischen 36 Kanonen auszuliefern.

Am 15. März schließlich bewilligt Kaiser Ferdinand Pressefreiheit, garantiert eine künftige Verfassung sowie die Bildung einer bewaffneten Bürgerwehr und erfüllt damit die sogenannten "Märzforderungen" der Revolutionäre. Ein 24-köpfiger Bürgerausschuss, dessen Mitglieder aus dem gehobenen Bürgertum stammen, übernimmt die Stadtverwaltung Wiens. Der debile Kaiser Ferdinand wird von Erzherzogin Sophie nach Tirol gebracht. Fürst Metternich dankt ab und flieht ins Exil nach England.

Die Vertreibung des verhassten konservativen "Fuhrmanns von Europa", wie er seinerzeit genannt wird, dem Begründer von Pressezensur, Spitzelsystem und Verfolgung, kommentiert Karl Marx in der Neuen Rheinischen Zeitung vor dem Hintergrund der zögernden Berliner:

"Wie ganz anders haben sich die Wiener benommen, die Schlag auf Schlag die Reaktion überwältigten."

Nach dem Pariser und Wiener Fanal greift die Revolution am 18. März 1848 schließlich auf Berlin über: Das Volk fordert auf dem Schlossplatz vom preußischen König Friedrich Wilhelm IV. Presse- und Versammlungsfreiheit, Aufhebung der Zensur und die Einberufung eines preußischen Parlaments. Als die Massen rufen "Militär zurück", lösen sich Schüsse und die Situation eskaliert ähnlich wie in Wien. Barrikaden werden errichtet, etwa 4000 zumeist schlecht bewaffnete Aufständische unterstützt von Zehntausenden von Helfern kämpfen gegen die 15.000 Mann starken Truppen - und siegen.

Friedrich Wilhelm zieht am 19. März seine Truppen zurück und beugt sich den Revolutionären. In schwarz-rot-goldener Kokarde - den Farben der deutschen Einheit seit dem Wartbugfest der Jenaer Burschenschaft 1817 - muss er die 230 Gefallenen im Schlosshof ehren und anschließend durch Berlin reiten. Am 21. März verkündet er etwas Bahnbrechendes:

Friedrich Wilhelm IV.: "Preußen geht fortan in Deutschland auf."

Das bedeutet: Nationale Einheit. Der König lässt ein liberales Ministerium einsetzen und verkündete die Einberufung der Nationalversammlung im Mai. Preußen - zusammen mit Russland und Österreich Bollwerk der Reaktion in Europa - sollte angeblich konstitutionelle Monarchie werden.

Die deutsche Revolution, die nur Teil eines gesamteuropäischen Phänomens war, schien auf der ganzen Linie gesiegt zu haben. Bereits am 18. Mai zogen die 649 Abgeordneten der 39 Einzelstaaten einschließlich Preußens und Österreich als Nationalversammlung in die Frankfurter Paulskirche ein. Ihre Aufgabe: Eine gesamtdeutsche demokratische Verfassung beschließen und eine Zentralgewalt einsetzen.

Erst im Dezember 1848 verkündete das Parlament jedoch den Grundrechtekatalog des deutschen Volkes, der nach Ansicht des Historikers Wolfgang Mommsen "fortschrittlicher als die Grundrechte der Weimarer Verfassung und eventuell sogar des Grundgesetzes von 1949 war", dessen vielzitierte Väter den 48er-Katalog zum Vorbild nahmen.

In der Zwischenzeit war jedoch zu viel Zeit verstrichen. Die Gegenrevolution, angeführt von Friedrich Wilhelm IV., nutzte sie, sich zu formieren. Die Opposition entzweite sich vor allem über die Ziele der Revolution. Während die Radikal-Demokraten um die Badener Friedrich Hecker und Gustav von Struve die Monarchie abschaffen wollten, ließen sich die Gemäßigten wie der Paulskirchen-Präsident Heinrich von Gaggern auf eine vermeintlich konstitutionelle Monarchie ein. Als von den Fürsten eingesetzte "Märzminister" besorgten sie das Geschäft der Landesherren, nämlich die "Revolution zu schließen", für "Ruhe und Ordnung" zu sorgen. Das Militär blieb - bis auf Baden und vorübergehend in Wien - in der Hand der Fürsten.

Im September werden in Frankfurt, im Oktober in Wien Aufstände niedergeschlagen, im November siegte in Berlin die Reaktion. Die Revolution hatte diesmal nicht wie 1789 in Frankreich "ihre Kinder", sondern sich selbst gefressen. Sie war, wie es schon Zeitgenossen feststellten, "vor den Thronen stehen geblieben".

Warum nur? Warum verpassten Europa und Deutschland die Gelegenheit, sich bereits 1848 eine freiheitliche Ordnung zu geben, mit der die Geschichte möglicherweise anders verlaufen wäre? Dazu der 1848-Experte Professor Wolfram Siemann von der Ludwig-Maximilian-Universität in München:

"Im Endeffekt ist diese Revolution gescheitert - aus einem Missverständnis heraus, dass das Bürgertum glaubte, auf evolutionärem Wege die Verfassung zu verändern und es dabei auf den Widerstand der Eliten gestoßen ist, die eben das Militär noch in Händen hielten und auch bereit waren, dieses einzusetzen."

Nicht nur in Berlin und Wien, auch in allen anderen revolutionären Zentren Europas wird die Revolution niedergeschlagen: in Krakau, Posen, Prag, Paris und Mailand, Ausnahme ist die Schweiz. Europa verpasst die erste große Gelegenheit, sich eine freiheitliche Ordnung zu geben, Wolfram Siemann spricht von einem abgebrochenen, verzögerten Emanzipationsprozess in der deutschen Geschichte.

Autor: Frank Gerstenberg
   
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